Junge Menschen sind sensibel für das, was in ihrer Familie passiert – sie spüren Konflikte, Stimmungen und Veränderungen oft intensiver als Erwachsene. Nicht selten übernehmen sie die Rolle der „Symptomträger:innen“, wobei ihre Verhaltensweisen oder Emotionen Ausdruck für das sind, was innerhalb des Familiensystems unausgesprochen bleibt. Ein auffälliges Verhalten wie Wutausbrüche, Ängste, Rückzug oder Schulprobleme signalisiert häufig nicht ein individuelles Problem, sondern verdeutlicht die Spannungen im familiären Miteinander. Besonders in herausfordernden Zeiten ist eine stabile, liebevolle Bindung innerhalb der Familie entscheidend. Sie bietet jungen Menschen Sicherheit, Orientierung und emotionale Unterstützung. Doch was passiert, wenn diese Bindung durch Konflikte oder Krisen belastet ist?
Ob Trennung, Verlust, Krankheit, finanzielle Sorgen oder Konflikte – Krisen gehören zum Leben, doch für Kinder und Jugendliche sind sie besonders belastend. Sie nehmen Veränderungen in ihrer Familie intensiv wahr, sei es ein Umzug, neue Wohnsituationen oder sich wandelnde Erziehungsstile. In solchen Momenten erleben sie nicht nur die äußeren Veränderungen, sondern auch das emotionale Ringen ihrer Eltern. Wenn Eltern stark belastet sind, fällt es oft schwer, die Bedürfnisse der Kinder im Blick zu behalten. Trauer, Wut oder Enttäuschung der Erwachsenen stehen im Vordergrund, und es bleibt wenig Raum für die Gefühle der Kinder. Das kann dazu führen, dass sie sich innerlich zerrissen fühlen, oft das Gefühl haben, „auf beiden Seiten“ stehen zu müssen.
Junge Menschen können in solchen Situationen Loyalitätskonflikte entwickeln. Sie fühlen sich hin- und hergerissen, versuchen, die Rolle der Vermittler:innen zu übernehmen oder die Situation zu beruhigen. Manchmal glauben sie sogar, selbst die Ursache der familiären Krise zu sein, was Schuldgefühle auslöst. Dieser emotionale Druck kann das Gleichgewicht und die gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen erschüttern.
Die Stabilität der Eltern ist ein Schlüssel zur Stabilität der Kinder. Wenn Eltern in ihrer Rolle sicher und klar sind, schaffen sie eine Atmosphäre, in der sich Kinder gesehen und verstanden fühlen, selbst wenn die äußeren Umstände schwierig sind. Klarheit in der Elternschaft hilft jungen Menschen dabei, sich zu orientieren, ihre eigenen Gefühle einzuordnen und die Herausforderungen in der Familie zu bewältigen, ohne sich dafür verantwortlich zu fühlen.
Die Familientherapie schafft einen geschützten Raum, in dem alle Gefühle und Gedanken Platz haben – auch die, die schwer zu benennen sind oder in der Familie bisher keinen Ausdruck fanden. Es geht darum, jungen Menschen eine Stimme zu geben, ohne sie für die Konflikte der Erwachsenen verantwortlich zu machen. In der Familientherapie können sie lernen, ihre Gefühle wie Traurigkeit, Wut oder Verwirrung zu benennen und zu verstehen, dass diese Gefühle normal und in Ordnung sind. Gleichzeitig ist es für Eltern eine Gelegenheit, ihr eigenes Verhalten und ihre Kommunikation zu reflektieren. Oft erkennen sie erst in der gemeinsamen Arbeit, welche Auswirkungen ihre Konflikte auf die Kinder haben und wie sie bewusster und klarer in ihrer Elternrolle handeln können.
Ziel ist es, eine gemeinsame Sprache zu finden, in der junge Menschen gehört werden, und gleichzeitig Eltern darin zu unterstützen, auch in schwierigen Zeiten stabil und präsent für ihre Kinder zu bleiben. Die Familientherapie hilft dabei, emotionale Verletzungen zu heilen, Missverständnisse aufzulösen und neue Wege der Kommunikation zu entwickeln. Das stärkt nicht nur das Vertrauen zwischen den Familienmitgliedern, sondern fördert auch die Fähigkeit der jungen Menschen, mit schwierigen Situationen umzugehen.
Für junge Menschen ist eine stabile Bindung zu den Eltern das wichtigste Fundament. Gerade in Krisenzeiten brauchen sie Erwachsene, die trotz eigener Herausforderungen präsent sind und klare Strukturen bieten. Eine sichere Bindung vermittelt das Gefühl, gehalten zu sein – selbst wenn es turbulent zugeht. Die Familientherapie unterstützt Eltern dabei, Wege zu finden, wie sie auch nach einer Trennung oder in anderen herausfordernden Lebenssituationen eine liebevolle, unterstützende Beziehung zu ihren Kindern aufrechterhalten können. Denn selbst wenn die elterliche Partnerschaft endet, bleibt die Elternschaft bestehen. Ein wertschätzender Umgang miteinander, klare Absprachen und ein respektvoller Kommunikationsstil sind dabei entscheidend, um jungen Menschen die nötige Sicherheit zu geben.
Herausforderungen wie familiäre Konflikte oder Trennungen bergen die Chance für persönliche Entwicklung – für Eltern und Kinder. In der Familientherapie lernen junge Menschen, ihre Gefühle auszudrücken, und entwickeln ein Verständnis dafür, dass auch sie in schwierigen Situationen handlungsfähig sind. Sie erfahren, dass ihre Stimme zählt, und werden in ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt. Sie lernen, mit Veränderungen umzugehen, eine eigene Haltung zu finden und die Balance zwischen Familie und eigenen Bedürfnissen zu finden.
Eltern wiederum erkennen, wie sie die Beziehung zu ihren Kindern aktiv gestalten können – auch in Phasen, in denen es nicht einfach ist. Sie bekommen die Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und die Beziehung zu ihren Kindern bewusst zu gestalten. Denn in Zeiten von Konflikten oder Trennung geht es nicht nur um Problemlösungen, sondern vor allem um die Förderung einer offenen, liebevollen und stabilen Bindung. Eine solche Bindung bietet jungen Menschen den Halt, den sie brauchen, um auch in stürmischen Zeiten ihren eigenen Weg zu gehen – getragen von Vertrauen und einer starken familiären Verbindung.
Pascale Jenny