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Oft erlebe ich in meiner Begleitung von Paaren eine stille Unzufriedenheit, die sich leise in die Beziehung einschleicht. Es sind die unausgesprochenen Erwartungen, die im Hintergrund wirken – Erwartungen, die vielleicht nie in Worte gefasst wurden, aber dennoch zu Enttäuschung führen, wenn sie nicht erfüllt werden. Vielleicht kennen Sie diese Momente: Ein Bedürfnis bleibt ungeteilt, und doch wächst die Hoffnung, dass die andere Person es von selbst erkennt und darauf reagiert. Wenn dies nicht geschieht, entsteht Frustration – und der leise Zweifel, ob man wirklich gesehen wird.
Solche Spannungen werden häufig erst dann spürbar, wenn das eigene innere Gleichgewicht ins Wanken gerät. Es scheint, als ob die Partnerin oder der Partner das fehlende Puzzleteil im eigenen Wohlbefinden sein könnte – doch unser Glück lässt sich nicht von anderen abhängig machen. Wünsche dürfen ausgesprochen werden, doch die andere Person ist nicht dafür verantwortlich, sie zu erfüllen.
Die Erwartungen, die wir mit uns tragen, haben oft viel mit unserer eigenen inneren Zufriedenheit zu tun. Je mehr wir in uns selbst verwurzelt sind, desto weniger erwarten wir, dass die andere Person für unser Wohl sorgen muss. Gleichzeitig tragen wir oft tiefe Prägungen aus unserer Vergangenheit in uns, die sich unbewusst in unsere Beziehungen einschleichen. Vielleicht sind es familiäre Muster, die wir nicht hinterfragt haben, oder Erfahrungen, die uns lehren, wie Beziehungen „sein sollten“.
Wann haben Sie das letzte Mal einen Wunsch geäußert – oder haben Sie vielleicht eher still erwartet, dass Ihr Gegenüber ihn erfüllt? Es gibt einen sanften, aber entscheidenden Unterschied zwischen beiden. Ein Wunsch öffnet den Raum für Dialog. Er gibt der anderen Person die Freiheit, darauf einzugehen oder nicht. Eine Erwartung hingegen schwingt oft unbewusst mit einem Anspruch mit: „Das sollte geschehen.“ Dies erzeugt subtilen Druck.
Stellen Sie sich vor, Sie wünschen sich mehr Nähe in Ihrer Beziehung. Vielleicht haben Sie diesen Wunsch bisher nicht ausgesprochen, sondern still gehofft, dass Ihr Gegenüber ihn von allein bemerkt. Wenn das nicht passiert, fühlen Sie sich möglicherweise enttäuscht oder nicht wertgeschätzt. Doch was wäre, wenn dieser Wunsch offen geteilt würde – als sanftes Angebot, das keine Pflicht mit sich bringt?
Wünsche zu äußern, ist nicht immer leicht. Es braucht Mut, die eigenen Bedürfnisse sichtbar zu machen, denn damit machen wir uns auch verletzlich. Stellen Sie sich vor, Sie wünschen sich mehr gemeinsame Zeit mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner. Wie könnte dieser Wunsch ausgesprochen werden, ohne Druck zu erzeugen? Ein Beispiel: „Ich würde mich freuen, wenn wir wieder mehr Zeit zusammen verbringen könnten, wenn du dich auch danach fühlst.“ Diese Worte laden ein, ohne zu fordern. Sie öffnen den Raum für Begegnung, ohne die Freiheit der anderen Person einzuschränken.
Vielleicht spüren Sie in diesem Moment eine gewisse Unsicherheit – denn es gibt keine Garantie, dass der Wunsch sofort erfüllt wird. Doch genau hier liegt die Schönheit des Austauschs: Beide Seiten dürfen ihre Bedürfnisse offenlegen, ohne dass sofortige Lösungen erwartet werden. In diesem Raum der Offenheit und Wertschätzung entsteht eine tiefe Verbundenheit.
Eine der größten Herausforderungen in Beziehungen ist es, die Freiheit der anderen Person zu wahren. Wünsche dürfen geteilt werden, doch sie sollten nicht zur Pflicht werden. Was wäre, wenn wir unsere Wünsche als Einladungen verstehen – als sanfte Angebote, die keinen Druck erzeugen? Das könnte es beiden Partner:innen ermöglichen, sich mit ihren eigenen Bedürfnissen zu zeigen und zu wissen, dass ein „Nein“ genauso willkommen ist wie ein „Ja“.
In diesem Vertrauen entsteht die wahre Nähe. Wenn beide wissen, dass die eigene Freiheit respektiert wird, können sie sich aufeinander verlassen – unabhängig davon, ob alle Wünsche übereinstimmen. In einer Beziehung auf Augenhöhe bleibt das Band der Verbindung stark, auch wenn unterschiedliche Vorstellungen oder Bedürfnisse im Raum stehen.
Es kommt vor, dass Wünsche scheinbar unvereinbar sind. Vielleicht wünscht sich eine Person mehr Nähe, während die andere mehr Raum für sich selbst braucht. Diese Situation birgt das Potenzial für Konflikte – doch sie kann auch eine Einladung sein, innezuhalten und den Dialog zu suchen. Statt in einen Machtkampf zu geraten, könnte das Gespräch einen sanften Weg eröffnen, der beiden gerecht wird.
Dieser Prozess erfordert Achtsamkeit, Geduld und die Bereitschaft, die andere Person wirklich zu hören. Doch in diesem Miteinander kann eine tiefere Verbindung entstehen – eine Verbindung, die auf Respekt, Offenheit und der gemeinsamen Suche nach Lösungen basiert.
Das Teilen von Wünschen ist auch eine Form der Selbstfürsorge. Es bedeutet, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und diese zu respektieren. Wann haben Sie zuletzt einen Wunsch offen ausgesprochen, ohne dabei zu erwarten, dass er sofort erfüllt wird? Diese Offenheit schafft eine Basis für tiefe, ehrliche Verbindungen – ohne den Druck, dass alles sofort in Erfüllung gehen muss.
Das Aussprechen von Wünschen eröffnet einen Raum für gegenseitiges Verständnis. Doch was geschieht, nachdem Wünsche geteilt wurden? Wie finden Paare und Familien ihre Balance, wenn unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandertreffen? Im nächsten Beitrag werde ich darauf eingehen, wie Grenzen achtsam und respektvoll gesetzt werden können, um Raum für beide Bedürfnisse zu schaffen. So bleibt die Beziehung lebendig und offen für persönliches Wachstum.
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